Fehlende Variantenuntersuchungen als Risiko für den Planer und Bauherrn

Dipl.-Ing. (FH) Uwe Halbach | Ausgewählte Gutachten, Bauherrenfehler, Planungsfehler
24. Februar 2010 um 18:00 Uhr

zur Beachtung!

Fehlende Variantenuntersuchungen als Risiko für den Planer und Bauherrn

Stichworte

  • Finanzierungsrisiko
  • Notwendigkeit von Variantenuntersuchungen im Rahmen von Vorplanungen
  • Vorentwurf „überspringen“
  • Fehlende Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitsnachweise als Mangel

Der Sachverständige vermißt Nachweise über die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit in der Planung.

Derartige Nachweise gehören nach Auffassung des Sachverständigen zu den wichtigsten Anforderungen an eine komplexe Tiefbauplanung überhaupt, vergleichbar mit der Notwendigkeit der Einholung eines Baugrundgutachtens oder eines statischen Nachweises über die Sicherheit eines Bauwerkes.

Komplexe und aufwendige Tiefbauplanungen sind in ihren technischen und wirtschaftlichen Konsequenzen nicht mit einem Blick überschaubar.

Die vorliegende Planung [4] ist bei einer für erforderlich gehaltenen Investitionssumme in Höhe von mehreren Mio DM durchaus als komplex und aufwendig zu bewerten.

Wenn bei derartigen Größenordnungen keine Nachweise der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit vorliegen, d.h. dokumentiert und nach Möglichkeit auch verteidigt werden, dann verursacht dieser Mangel ein beträchtliches Risiko, welches darin besteht, daß nicht rechtzeitig erkannt werden kann, ob die Planung und damit die entsprechende Investition über Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitsmängel verfügt.

Es ist dem Sachverständigen nicht möglich, ohne eigene umfangreiche Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitsvergleiche einen Beweis zu führen.

Derartige Nachweise werden mit vergleichenden Untersuchungen erbracht.

Auch der vergleichende Charakter ist ein Grund, warum die Konsequenzen und auch die Risiken komplexer und aufwendiger Tiefbauplanungen schwer überschaubar sind. Die vergleichenden Methoden setzen voraus, daß wenigstens 2 Lösungsmöglichkeiten nach gleichen Anforderungen erarbeitet wurden.

Die Notwendigkeit derartiger Variantenuntersuchungen ergibt sich neben Vernunftsgründen außerdem aus den Leistungsbildern des § 55 der HOAI:

„Erarbeiten eines Planungskonzepts

  • einschließlich Untersuchung der alternativen Lösungsmöglichkeiten
  • nach gleichen Anforderungen
  • mit zeichnerischer Darstellung und
  • Bewertung

unter Einarbeitung der Beiträge anderer an der Planung fachlich Beteiligter“ und aus dem Regelwerk der ATV und der Fachliteratur.

Nach den a.a.R.d.T. (einschlägige Fachliteratur, [z.B. 13]) sind Variantenuntersuchungen auf jeden Fall erforderlich.

Das Erfordernis von Variantenuntersuchungen zur Ermittlung der zweckmäßigsten Lösung ist in der Fachliteratur ein unstrittiges Thema. Für eine Kläranlagenplanung wird beispielsweise u.a. in [26, Seite 237] argumentiert:

„Die zahlenmäßig großen und komplexen Einflußfaktoren machen häufig systematische Studien erforderlich. In diesen Fällen wird eine technisch und wirtschaftlich gründliche Planungskonzeption auch die Aufstellung von Lösungsvarianten für die Bemessung und Gestaltung der Kläranlage einbeziehen. Bei einer solchen Untersuchung sind verfahrensbau- und/oder maschinentechnische Planungsgrundsätze zu variieren. Nur die abschließenden Ergebnisse sollten Bestandteil des Vorentwurfes werden. Für Zwischenermittlungen genügt eine konzeptmäßige Ausarbeitung.“

Nun ist eine Kläranlagenplanung keine Kanalplanung. Andererseits wird hier erkannt, daß zahlenmäßig große und komplexe Einflußfaktoren häufig systematische Studien erforderlich machen. Eine Kanalplanung für eine Siedlung unterliegt zahlenmäßig großen und komplexen Einflußfaktoren.

Es ist ein Erfahrungssatz der Tiefbauplanung, daß Vorplanung, Studien und Variantenuntersuchungen vor der Entwurfsplanung nicht nur die künftige Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Investition entscheidend prägen, sondern auch das Investitionsrisiko für den Bauherrn und das Planungsrisiko für den Planer gravierend senken.

Das Erfordernis einer separaten Vorlage der Vorplanung bei dem Entwurf von Kanalisationen wird in [13, Seite 424] zwingend vorgeschrieben:

„Der Vorentwurf ist immer anzufertigen und ist die Grundlage für die weiteren Überlegungen.“

Bei dieser Quelle von 1982 handelt es sich um ein Standardwerk (Lehr- und Handbuch der Abwassertechnik).

Dieses Fachbuch erfuhr 1994 als ATV-Handbuch „Planung der Kanalisation“ eine 4. Auflage [19, Seite 524], wobei der Verfasser des Abschnittes noch die gleiche Auffassung vertritt und o.g. Zitat im Wortlaut immer noch enthalten ist.

Der Sachverständige vertritt ebenfalls diese Auffassung, weil die Planung von Entwässerungsnetzen zu anspruchsvoll, zu komplex und die finanziellen Konsequenzen für den Bauherrn schwer überschaubar sind, als daß man die Vorplanung einfach überspringen könnte.

Die Vorplanung hat auch die Funktion für den Auftraggeber, sich von den Planungskonsequenzen ein erstes Bild zu machen. Unstrittig ist, daß im Abwasserbereich gerade die Qualität der Vorplanung die spätere Effektivität der Investition in entscheidendem Maße beeinflußt.

Bei anderen, einfacheren Planungen, mag ein Überspringen der Vorplanung unproblematischer sein und möglicherweise trotzdem die Wirtschaftlichkeit und den Gebrauchswert der Planung gewährleisten. Der Sachverständige ist aufgrund der komplexen Auswirkungen einer kompletten Kanalisationsplanung für eine Siedlung der Auffassung, daß die Vorplanung eine unabdingbare Voraussetzung für einen ordentlichen und abgestimmten Planungsablauf unter Einbeziehung des Bauherrn ist. Anderenfalls ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, daß aus dem Überspringen einer Vorplanung erhebliche Nachteile für den Bauherrn entstehen, weil die Wirtschaftlichkeit der Planung bestritten werden könnte oder weil der Bauherr die Konsequenzen der Planung zu spät überblickt.

Mit dem Überspringen der Vorplanung wurde der Erkenntnisprozeß der Beklagten eingeschränkt.

Beim Vorlegen und bei der Abnahme einer Vorplanung ist der Bauherr einmal mehr gezwungen, die planerische Leistung zu werten. Unterbleibt dieser wichtige Dialog, dann hat der Bauherr unwiderruflich eine Möglichkeit zur Entscheidungspräzisierung weniger. Durch das Überspringen der Vorplanung wird außerdem der Entscheidungsprozeß beim Bauherrn erheblich verzögert.

Andererseits wird das Planungsrisiko für den Planer erheblich reduziert, wenn er sich seine Zwischenergebnisse hinreichend häufig vom Bauherrn schriftlich bestätigen läßt. Das wird von den Ingenieurbüros teilweise praktiziert. Damit besteht lediglich die Gefahr, daß der Bauherr mit nur einer – und zwar mit der zuletzt vorgelegten – planerischen Leistung nicht einverstanden ist. Das Risiko wird dann zum großen Teil auf den Bauherrn verlagert, sofern er die Planungsabschnitte nicht sorgfältig und ggf. auch interdisziplinär prüfen läßt.

Die schließlich vorgelegte Entwurfsplanung läßt dem Beklagten und dem Sachverständigen nur 2 Alternativen: Die Lösung zu akzeptieren oder zu verwerfen.

Die Pflicht, grundsätzlich mehr als eine Lösung zu untersuchen, ergibt sich ebenfalls aus den Leistungsbildern des § 55 der HOAI:

„Untersuchen von Lösungsmöglichkeiten mit ihren Einflüssen auf bauliche und konstruktive Gestaltung, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit unter Beachtung der Umweltverträglichkeit.“

Eine anspruchsvolle Planung hat derartige Untersuchungen zu dokumentieren.

Übliche Zweckmäßigkeits-, Wirtschaftlichkeitsnachweise sind in den Planungen [1-4] nicht dokumentiert.

„Eingeschränkte Prüffähigkeit“ – Ergebnisse – Zusammenfassung

Insgesamt ist es nicht möglich, die Planung [1-4] hinsichtlich ihrer Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit zu prüfen, weil die dazu erforderlichen Nachweise von der Klägerin nicht geführt wurden.

Bei einer Planung, deren Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitsnachweise fehlen, wird das Investitions- und Finanzierungsrisiko über das Investitionsgrundrisiko hinaus unnötig erhöht. Dies verursacht den Mangel einer vermeidbaren Risikoerhöhung.
Eine Planung, die teilweise nicht prüffähig ist, ist in allen nicht prüffähigen Punkten mangelhaft. Zum Beispiel kann die Genehmigung aus diesem Grund versagt werden.

Unvollständig ist die Planung in diesen Punkten außerdem, weil die notwendigen Nachweise fehlen.

Man erkennt, daß fehlende Zweckmäßigkeits- und Wirtschaftlichkeitsnachweise ein ganze Reihe weiterer Mängel nach sich ziehen.